Karlsruher Bahá’í Gemeinde

Stadt Karlsruhe
Stadt Karlsruhe

Im Jahr 1920 (vielleicht schon etwas früher) begann in Karlsruhe das Bahá’i – Leben. In diesem Jahr war der Schweizer Professor Dr. Auguste Forel auf Besuch in Karlsruhe bei seiner Tochter Marta Brauns-Forel und seinem Schwiegersohn Dr. Arthur Brauns, die beide zu Beginn des Jahres 1920 Bahá’i geworden waren. Hier hörte Dr. Forel zum ersten Mal von der Bahá’i-Lehre. Marta und Arthur Brauns vertieften sich in die die Bahá’i-Schriften und gaben ihr Wissen an viele Menschen weiter. Die ersten öffentlichen Abende in der Stadt waren der Beginn der Bahá’i-Arbeit in Karlsruhe. In welchem Jahr der erste „Geistige Rat“ der Gemeinde gebildet wurde, konnte bis heute noch nicht festgestellt werden.

Das „Häusle“ von den Ettlingern, auch liebevoll „Villa – Duck – Dich“ genannt, war für viele Jahre (von 1920 bis ca. 1960) geistiger und geselliger Mittelpunkt für die Gemeinde und die Freunde aus der näheren und weiteren Umgebung und viele Gäste. Anfang der Zwanziger Jahre hatte Dr. Arthur Brauns auf seiner großen Wiese ein Holzhäusle gebaut mit einem großen gemütlichen Wohnraum. In der Mitte befand sich ein Familienholztisch, rundherum entlang der Wand Stühle, Hocker und Bänke, so dass viele Menschen im Häusle Platz fanden, wenn das Wetter mal nicht so schön war. Bei Sonnenschein waren Tische, Stühle und Bänke rasch ins Freie getragen. Ein kleiner Anbau mit einem zweiflammigen Spirituskocher diente als Küche. In Wassersäcken holten die Freunde zu Fuß oder mit dem Fahrrad in 800 m Entfernung das köstliche Naß. Über die ganze Wiese um das Häusle waren Obstbäume verteilt. Hinter dem Haus stand zur Freude der Kinder eine hohe Schaukel und dabei ein kleiner Aussichtsturm, der einen Blick auf Ettlingen und auf die Pfälzer Berge bot. Im Häusle und im Garten haben die Bahá’i viele Andachten und Feierstunden gehalten.

Auguste Forel
Auguste Forel

Professor Dr. Auguste Forel, der in Karlsruhe zum ersten Mal mit der Bahá’i-Lehre in Berühung kam, war weit über die Schweiz hinaus bekannt, als Arzt, Professor der Psychiatrie, Sozialreformer, Naturforscher, Ameisenforscher und Kämpfer für die Enthaltung von Alkohol. Er griff als erster in seinen Veröffentlichungen Tabuprobleme auf. Sein Bild schmückte jahrelang den schweizer 1000-Frankenschein. Die Universitäten Zürich und Lausanne gedachten seiner in zwei großen Ausstellungen in deutscher und französischer Sprache. In der Kunsthalle Mannheim befindet sich sein von Kokoschka gemaltes Portrait. Dr. Forel bekannte sich zur Bahá’i-Religion und schrieb einen Brief nach Haifa an ‚Abdul-Bahá, da er viele offene Fragen hatte. Der Brief und eine ausführliche Antwort ‚Abdu’l-Bahás wurde in einem kleinen Buch zusammengefasst und ist im Bahá’i-Verlag erschienen.

Dr. Arthur Brauns und Marta Brauns-Forel, Schwiegersohn und Tochter von Dr. Forel, waren vermutlich die ersten Bahá’i in Karlsruhe. Dr. Brauns war niedergelassener Arzt in Karlsruhe-Rüppurr, in der Gartenstadt. Bis zu seinem allzu frühen Tod 1925 war er in Karlsruhe auch als Stadtrat tätig. Familie Brauns war zu jener Zeit der Träger der Bahá’i-Arbeit in Karlsruhe. Sie organisierte in ihrem Haus Zusammenkünfte, bei denen häufig Bahá’i-Gäste aus USA und Persien teilnahmen. Durch öffentliche Abende machten sie die Bahá’i-Religion in der Stadt bekannt.

Marta Brauns bekam während des Nationalsozialischen Regimes erhebliche Schwierigkeiten. Nach der Machtübernahme hatte sich bald abgezeichnet, daß die Bahá’i wegen ihres weltumfassenden Gedankengutes und ihrer Kontakte zu Menschen aus allen Teilen der Welt angefeindet wurden. Im Jahr 1937 wurde die Bahá’i-Religion durch Himmler verboten. Marta Brauns-Forel warf man ihre Zugehörigkeit zur Bahá’i-Sache und ihren Umgang mit Juden und Ausländern vor. Sie wurde von der Gestapo demütigend behandelt und beschimpft.

An einen ihrer Söhne schreibt sie: „Mein liebes, liebes Kind! Schon einige Male in meinem Leben habe ich gedacht, das war das Schwerste, was mich treffen konnte: der 1.Aug.1914 (Kriegsbeginn), der 1. September 1925 (Tod von Arthur Brauns)…..aber wieder hat mir das Schicksal Tage des Grauens und des Entsetzens gebracht, so dass ich dachte, den Verstand zu verlieren. Man kann sich wohl manches vorstellen, das andere erleben, aber etwas am eigenen Leibe und an der eigenen Seele zu erfahren, ist etwas sehr anderes. Ich bin nun hintereinander vier Tage bei der Geheimen Staatspolizei gewesen – was das heißt, weißt du Gott sei Dank nicht. Wenn man das Gelände verlässt schaut man scheu um sich: jetzt sehen es dir alle an, dass du eine Aussätzige, eine Verbrecherin, ein verworfenes, ein lügnerisches Geschöpf bist. Kommt man heim und trifft Freunde, möchte man ihnen von weitem zurufen: Fort, fort! Verkehrt nicht mit mir, ich gefährde euch. Nachts plagen einen die Furien des Gewissens: hast du auch alles ganz wahrheitsgetreu gesagt, war es nicht doch ein bisschen anders. Ach, und nun wird Dieser und Jener wegen dir in die selbe Seelenfolter gebracht. Sie (die Gestapo-Beamten) haben ja alles mitgenommen, alle Briefe, alle Adressen. Warum bist du solch harmloses Schaf, ahnungslos und weltfremd. Mein Gehirn ist wie eine Tretmühle; ich komme nicht los. Jürg tut mir leid. Er ist noch zu jung. Er möchte mir helfen, mich ablenken. Ich soll gleichgültig erscheinen, verdrängen. Aber ich will nicht verdrängen, sondern alles durcharbeiten. Aber ich muss allein kämpfen: kein Buch, kein Blatt, kein Gebetbuch, keines der eingerahmten Goldenen Worte, nicht einmal das kleine alte Bild auf der Postkarte auf meinem Schreibtisch durfte ich behalten.

Mein armes Kind, ich belaste dich mit meinem Kummer. Aber ich muss einfach die quälenden Gedanken niederschreiben, um mich zu befreien und du als zukünftiger Arzt musst nun denken, dass du schon in dein Amt trittst. Dein erster Patient ist deine Mutter…. Zu meiner Schande muss ich auch sagen, dass mich von Zeit zu Zeit Wut und Rachegedanken befallen….dass ich meine Folterer demütigen möchte…“

Tatkräftige Mitarbeiter in der Gemeinde waren schon früh das Ehepaar Albert und Otilie Renftle. Sie wohnten in Karlsruhe-Weiherfeld, also nicht weit von Rüppurr entfernt. Albert Renftle war ein bekannter Kunstschmied. Noch heute finden wir über dem Haupteingang des Diakonissenkrankenhauses in Karlsruhe eine große runde Platte aus seiner Werkstatt. In ihrer Mitte ist die Friedenstaube mit einem Ölzweig im Schnabel zu sehen. Für die weit über Israel hinaus bekannten wunderschönen Heiligen Stätten der Bahá’i in Haifa und Akka schuf er einen Leuchter und eine Vase. 1916 veröffentlichte er eine aus dem Französischen veröffentlichte Schrift über den Bahá’i-Glauben.

Es war im Jahr 1913 als ein junger Handwerksbursche names Michael Butscher auf der Walz durch Europa auch nach Paris kam. Hier hatte er ein Erlebnis, das er nicht vergessen konnte: Als er durch die Straßen lief, fiel ihm auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Gruppe orientalisch gekleideter Herren auf. Einer der Herren mit gütigem Gesicht trug einen weißen Turban und einen langen weißen Bart. Michael Butscher begleitete die Gruppe bis sie in einer Haustür verschwand. Er überquerte die Straße und sah sich das Haus genauer an. Hineinzugehen wagte er nicht. An der Hauswand entdeckte er ein Schild „Bahà’i“. Der Name sagte ihm nichts, aber behielt ihn im Gedächtnis. Der Erste Weltkrieg brach aus, er kehrte nach Deutschland zurück und wurde Soldat. Nach seiner Entlassung am Kriegsende ließ er sich in Karlsruhe als Schneidermeister nieder. Hier begegnete er dem Namen „Bahá’i“ wieder. Als er Bahá’i-Gläubige kennen lernte und sein Erlebnis von Paris erzählte, zeigten sie ihm ein Foto von ‚Abdu’l-Bahá und er erkannte jenen Mann mit dem gütigen Gesicht wieder. Für Michael Butscher war dies eine Fügung und er wurde Bahá’i.

August Weber und seine Frau Hanni Weber wurden 1925 Anhänger dieser Religion. August Weber war geschlagen und verzweifelt aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt, den er als Soldat an der Front erleben musste. Sein Hausarzt Dr. Brauns gab ihm die geistige und seelische Hilfe, der er so nötig bedurfte. Als die Webers 1925 in einem Nachruf für den tödlich verunglückten Dr. Brauns in der Karlsruher Zeitung den Satz „Er war Bahá’i“ lasen, war ihnen klar, dass Dr. Brauns aus dieser religiösen Quelle geschöpft hatte und sie suchten eine Bahá’i-Veranstaltung auf, wo sie Marta Brauns trafen. Dieser Tag war der Beginn eines gemeinsamen Bahá’i-Lebens. Als 1937 die Bahá’i-Religion in Deutschland verboten wurde und damit jede Tätigkeit für den Glauben, konnten sie sich wenigstens noch mit Familie Brauns treffen, da sie Nachbarn waren. Sie erhielten später mehrfach Besuch der Gestapo. Vermutlich waren die Familien Weber und Brauns die einzigen Bahá’i in Karlruhe, die belästigt wurden. Ob auch andere Bahá’i in Karlsruhe behelligt wurden, ist nicht bekannt. Es ist anzunehmen, dass sie aber alle beschattet wurden.

Die Familien Brauns und Weber verloren beide einen Sohn an der Front im Zweiten Weltkrieg: Jörg Brauns fiel vor St.Petersburg 1942 und Klaus Weber ließ sein Leben in Lettland 1944. In einer Bombennacht wurde Fritz Winkler 1945 getötet.

 

Der Neubeginn

Nach Kriegsende 1945 und dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft dauerte es nicht lange, bis die Bahá’i in Karlsruhe sich wieder fanden. Sie begannen die Fest- und Feiertage zu feiern. Der Wiederaufbau der Gemeinde entwickelte sich und bald wurde der „Geistige Rat“ (das örtliche Verwaltungsgremium ) wieder gebildet. Die Suche nach geistigen Werten war in dieser Zeit sehr groß. Viele öffentliche Vorträge fanden statt. Da die Gemeinde kein eigenes Zentrum hatte, mußten die Abende in gemieteten Sälen durchgeführt werden: im Gästehaus der Stadt Karlsruhe im Scheffelsaal, im Conradin-Kreutzersaal (später das Theater „Die Insel“) und im Hotel „Kaiserhhof“. Die Redner kamen von Heidelberg, Neckargemünd, Nürnberg und Stuttgart. In den ersten Jahren nach dem Krieg mußte für jeden öffentlichen Vortrag die Genehmigung der Militärregierung eingeholt werden und diese Genehmigung mit der Kontrollnummer auf den Einladungen angegeben sein. Bald kamen auch Bahá’i aus dem Ausland und bereicherten mit ihren Berichten aus dem Heiligen Land und der übrigen Bahá’i-Welt die Bemühungen. Die „Weltreligionstage“ brachten Menschen vieler Glaubensrichtungen zusammen. Redner christlichen Konfessionen, der jüdischen Gemeinde, Buddhisten und anderer Glaubensrichtungen konnten gewonnen werden. Sie sprachen über ein gemeinsames Thema. Die Feiern wurden durch Texte und Musik umrahmt. Diese Veranstaltungen waren in den fünfziger und den sechziger Jahren sehr gut besucht.

In den Jahren 1949/50 kamen junge Bahá’i aus dem Iran nach Karlsruhe, um an der Technischen Hochschule ihr Studium aufzunehmen. Sie waren eine große Bereicherung für die Gemeinde, konnten sie doch aus dem Mutterland des Glaubens vieles berichten und mit ihrem Wissen die Arbeit bereichern. Die Studenten machten es möglich, dass auch an der Hochschule im Engesser-Hörsaal Bahá’i-Vorträge gehalten werden konnten. Nach dem Studium fanden die meisten Perser in anderen Städten und Ländern eine Arbeit. Einige kehrten wieder in ihr Heimatland zurück.

Im Jahr 1967 veranstaltete der Geistige Rat Karlsruhe aus Anlass des hundertsten Jahrestages der Verkündung der „Botschaft Bahá’u’lláhs an die Könige und Herrscher der Welt“ eine Vortragsreihe mit Ausstellung in der Volkshochschule Karlsruhe. Bahá’u’lláh sandte damals Schreiben an Kaiser Wilhelm I, Queen Victoria, Kaiser Franz Josef, Napoleon III , Papst Pius IX, den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Zar Alexander II, den Sultan der Türkei und den Schah von Persien und andere.

Nach langem Suchen konnte im Jahr 1989 das Bahá’i-Zentrum in der Amalienstraße 30 eingeweiht werden. Es brachte starke Impulse für das Gemeindeleben und manches Mal ist der großen Raum schon zu klein gewesen.

Kleinere Ausstellungen zu verschiedenen Gelegenheiten im Zentrum in der Amalienstraße zeigten Bilder und Bücher in vielen Sprachen. Ihnen folgten im Jahr 1998/1999 Ausstellungen im Rahmen der Bücherschau im Landesgewerbeamt Karlsruhe. Hier war es möglich einen Teil der inzwischen sehr umfangreichen Bahá’i-Literatur in Deutsch aus dem Bahá’i-Verlag zu repräsentieren und der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Im Sommer 1999 besuchte die Bahá’i-Tanzgruppe „Steps of the World Peace“ Karlsruhe. Sie tanzten fünf Tage lang auf öffentlichen Plätzen der Stadt und brachten dabei die heutigen Probleme der Menschheit und ihre Lösung aus Bahá’i-Sicht zum Ausdruck.

Viele Karlsruher Bahá’i nehmen immer wieder an nationalen und internationalen Konferenzen teil und viele Freunde anderer Orte und Länder besuchen das Zentrum. Heute versammeln sich dort Menschen vieler Nationen und Rassen und zeigen die „Einheit in der Mannigfaltigkeit“.